20,5 x 27 cm, 100 Seiten, 66 farbige Abbildungen, mit einem Text von Birgit Laskowski, Strzelecki Books Köln
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"Es gibt immer die Möglichkeit, sich zu sagen, dass nicht morgen, sondern übermorgen der erste Tag vom Rest des Lebens sein wird. Weder dieses Gesicht noch diese Landschaft, sondern das unmittelbar darauffolgende ..." 1
Liebe Luisa,
fast ein wenig eifersüchtig streift der Blick durch Deine Zeichnungen, wie sie sich hier so tänzerisch leicht darbieten. Die Sprache scheint dagegen schwergängig, will nicht recht fließen, hüpft aus der Rille, stößt sich den Kopf am bereits Gesagten. Lyrik schiene noch das Adäquateste – allein, ich bin keine Dichterin.
Dein Werk ist umfangreich, mannigfaltig, oft beschrieben und vielstimmig kommentiert. Und selbst aus dem Medium Zeichnung ist dies nur eine kleine, fokussierte Auslese – es ist jenes unter all Deinen Medien, das ich am liebsten mag, da es mir so authentisch mit Dir verbunden erscheint, nicht nur, weil ihm ja ohnehin ein besonders intimer Charakter
zugesprochen wird. Wie schön, dass diese Auswahl keine Chronologie aufweist – so führen die Zeichnungen selbst ihren Dialog miteinander, der den Verknüpfungen zwischen Deinen inneren Bildern entsprechen mag, denn die Erinnerung ist bekanntlich sprunghafter Natur.
2013 hast Du Deinen 80. Geburtstag gefeiert – und die älteste der vorliegenden Zeichnungen ist aus dem Jahr 1957, die jüngste stammt von 2016. Sie klammern ein halbes Jahrhundert Lebenszeit ein, die Du erst ab 1978 kontinuierlicher und zielstrebiger mit künstlerischer Arbeit angefüllt hast, Deinem starken Wunsch folgend, „etwas ans Licht zu bringen, das
in mir ist“2 – aber doch als Spätberufene. Umso mehr mag sich zuvor angesammelt haben, um sich dann endlich Bahn zu brechen!
Du selbst nennst Deine Zeichnungen ein Tagebuch. Und ja, so wirken sie: dem Tag gewidmet, nicht der Nacht. Die Augen sind offen, egal, ob der wache, zugewandte Blick nach außen oder nach innen gerichtet ist. Sicher schwingt auch Melancholie mit – der Tag neigt sich dem Ende zu –, aber doch wenig Schwere und Düsternis. Allenfalls hier und dort:
Schatzmanns Zorn. Aber auch der beflügelt eher einen von zunehmender Lockerheit und Leichtigkeit bestimmten Duktus.
Mein erster Besuch in Deinem Atelier ist ein paar Jahre her. Ein lichter Raum, die Atmosphäre von „Aufgeräumtheit“ und Konzentration. Eine beeindruckende Fülle an Werken und Dokumentation von Arbeitskraft – von Dir Geschaffenes und von Deinem so kritischen wie treuen Assistenten Geordnetes. Einen empathischen klugen Spiegel in dieser mitunter harten Klarheit kann sich wohl nur wählen, wer eine Suchende bleiben möchte und das Fragenstellen auch im Vorschreiten der Jahre noch spannender findet als die Antwort zu kennen.
Meine unmittelbare Wahrnehmung: eine starke, charismatische Person, schön, vital, selbstbewusst, anspruchsvoll, achtsam auf jeder Ebene. Die Arbeiten: in aller Vielfältigkeit und Experimentfreude doch von großer qualitativer Konvergenz, Geradlinigkeit und Bestimmtheit im Ausdruck. Zaghaftigkeit an keiner Stelle, Zurückhaltung stets bewusst.
Und auch wenn Du von Unsicherheit in den Anfängen berichtest, es überwiegt der Eindruck, hier hat sich nicht ein Reh tastend auf die Lichtung bewegt, sondern eine Löwin entschlossen, ihre Stimme zu voller Stärke zu erheben. Und wie viele Tonarten und Varianten der Modulation hat diese Entäußerung in Deinem Werk gefunden!
Musikalische Metaphern liegen gerade bei der Betrachtung Deiner Zeichnungen nah: Thema, Rhythmus, Variation, Improvisation, Vibrato – hier ein Crescendo, eine Erhebung der Lautstärke, dort ein Abschwellen, „es ist wie Glockenläuten, aus dem man heraushört, was man als Vorstellung in sich trägt“.3
Aber das trifft nicht nur für die Zeichnungen zu: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“4 Du beherrschst ein großes Repertoire von bildlichen Sprachen – Parallele zu Deinem Lebensweg durch mehrere europäische Länder, bevor Du 1954 in Köln angelandet bist, und Echo Deines polyglotten Geistes.
Biografische Einflüsse werden in der Beschreibung von Kunst zwar oft beleuchtet, aber ebenso gern verleugnet, als verstellten sie den unvoreingenommenen Blick auf das Werk. Aber was bedeutet es, das Werk „an sich“ zu betrachten? Und ist dies nicht in Wahrheit die Perspektive von Künstlern und Kritikern, die dem Diskurs und dem Stellenwert des Werks in diesem sogar den Vorrang beimessen? Oder, wie es Jean Baudrillard ausdrückt: „Sie stehen im Zentrum der Welt und sie wissen es nicht. Sie stehen lieber im Zentrum der Bücher und der Erde.“5
Wie sollte es vermeidbar sein, dass das Biografische, das Erleben die treibende Kraft und Motivation jeder gestaltenden Äußerung schlechthin ist? Was treibt den Künstler an? Malt er für sich? Malt er, um sich in einen Dialog zu begeben mit dem, was andere schon geschaffen haben? Das Eigene entfaltet der offene Geist doch sowieso unvermeidlich in Bezug auf das Andere und Beziehung zum Anderen. Der Verzicht auf Chronologie in der Abbildung Deiner Zeichnungen ergibt so einmal mehr Sinn, torpediert er doch die simple analoge Zuordnung zu bestimmten Lebensphasen und verdeutlicht andererseits Parallelen und Kontinuitäten, Veränderungen und Entwicklungen.
1933 geboren, bist Du in noch sehr patriarchalischen Strukturen aufgewachsen, innerhalb derer die weibliche Lebendigkeit sich zumeist unterzuordnen hatte oder zumindest nur im Rahmen gesellschaftlicher und häuslicher Pflichten zur Entfaltung kommen sollte. Neben der fordernden Rolle als „Frau an seiner Seite“ und Mutter dreier Kinder hast Du Deine Entwicklung als Künstlerin erst 1978 mit Beginn des Kunststudiums an den Kölner Werkschulen vorantreiben können. Den Spagat zwischen dem „Für andere da sein“ und „Bei sich bleiben“ hast Du bewältigt und Dir in der Kunst
Deine Eigenständigkeit erobert. Von Anfang an kennzeichnet Deine Arbeit eine Unabhängigkeit, auch von den gestisch-figürlichen Haupttendenzen dieser Zeit. Wenn überhaupt, hast Du Dir Deine Verbündeten und Vorbilder
in der Kunstgeschichte gesucht, nicht im zeitgenössischen Umfeld.
Eine Frau muss Geld haben und ein Zimmer für sich allein, diese Kernforderung der Bibel der (insbesondere künstlerischen) Emanzipation,dem 1929 erschienenen Essay „A Room of One’s Own“ von Virginia Woolf, besitzt noch immer Gültigkeit. Nur so ist es ihr möglich, „in Gegenwart der Wirklichkeit zu leben – ein belebendes Leben, so will es scheinen, ganz gleich, ob man es mitteilen kann oder nicht“.6
Ein solches „belebendes Leben“ findet augenfällig Niederschlag in Deinen Bildern, die ungeheure Frische Deiner aktuellen Werke ist der beste Beleg. Das Privileg des finanziellen und räumlichen Freiraums, eines Ateliers
als eigenem Reich des Rückzugs, hast Du genossen – aber sich selbst mit der Arbeit ernst und wichtig zu nehmen bleibt eine Leistung, die nicht allein von den äußeren Bedingungen abhängt. Die letzte Freiheit ist erst dann erreicht,
wenn man alle Fragen der Abgrenzung vernachlässigt und sich ganz dem schöpferischen Akt widmet.
Woolf beschreibt sehr treffend, dass die Emanzipation letztlich erst dann vollzogen ist, wenn man sich ihres Vollzuges nicht mehr gewahr ist; die wirkliche Autonomie im künstlerischen Tun und eigenen ästhetischen Urteil – also ganz bei der Sache selbst zu sein – ist erst erreicht nach Aufgabe des Vergleichs und des Haders: „Die größte aller Erlösungen trat ein, die Freiheit, an die Dinge selbst zu denken. Dieses Gebäude, zum Beispiel, mag ich es oder nicht? Ist dieses Bild schön oder nicht? Ist das nach meiner Ansicht ein gutes Buch oder nicht?“7
Sicher, Du hast Dir auch Themen gesucht, die sich explizit mit der weiblichen Rolle, ihren Mythen und dem Matriarchat beschäftigt haben, aber Dein Talent und, ich denke, auch Dein Temperament haben Dich davor bewahrt, in der Illustration dieser Fragen verhaftet zu bleiben. Und so sind Deine Zeichnungen der schönste Ausdruck des „Denkens an die Dinge selbst“.
Die Titelgebung ist ein erster Akt der Distanzierung des Künstlers von seinem Werk, ein erstes Heraustreten und Erklimmen der Metaebene, noch vor der Herausgabe an ein Publikum. Deine spärlichen Titel lassen den Betrachter unmittelbar bei dem bleiben, was er sieht. Keine Interpretation ist vorgegeben, viele Assoziationen sind möglich: Manchmal scheinen Deine Zeichnungen aus Permanentszenen eines André Thomkins emporzusteigen, man fühlt sich erinnert an die nervösen, sensiblen Setzungen eines Cy Twombly. Sie besitzen aber auch den halbbewussten und doch so zwingenden Ausdruck einer Kinderzeichnung oder die Eigenschaften von Netzhautbildern im Halbschlaf, wie sie Max Ernst beschreibt.
Und doch: Ihre Offenheit und Skizzenhaftigkeit ist gepaart mit erstaunlicher Pointiertheit – und ich glaube, das erklärt die
unverwechselbare Energie Deiner Zeichnungen. Ihre atmosphärische Exaktheit. Ein paar Linien. Die zurückhaltende, aber sichere und dezidierte Setzung von Farbe. Mehr und mehr ähneln Deine Zeichnungen guten Gedichten, denn sie halten eher das Wesen des Dargestellten fest als dessen konkrete Ansicht – mal als fragile Essenz der Erscheinung, mal in der entschiedeneren Geste einer stenografischen Anmerkung. Sie besitzen die Poesie und Präzision eines Haïku, aber auch die Ironie und Chuzpe eines Robert Gernhardt:
Mondgedicht
. . , –
fertig ist das Mondgedicht8
Das alles kennzeichnet auch schon sehr frühe Arbeiten und ist nichts Neues in Deinem Werk, aber vielleicht wird es für Dich zunehmend bedeutender, in Deinen „bildnerischen Tagebüchern“ die Substanz Deines Lebens festzuhalten? Nun also kommt – unvermeidlich für einen bewussten Verstand – die Zeit des Ordnens und der Bilanz, der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit. Was bleibt, was wurde manifest?
Die Zeichnungen, oft am Ende des Tages entstanden, sind nicht nur Tagesreste im Freud’schen Sinne, und so mag das, was die bereits zitierte britische Schriftstellerin über die Literatur schreibt, auch für Deine Hinterlassenschaften in Bildsprache gelten: „Das ist es, was übrigbleibt, wenn die Hülle des Tages in die Hecke geworfen ist; das ist es, was von
vergangenen Zeiten und unserem Lieben und Hassen übrigbleibt.“9
Birgit Laskowski
Köln, im August 2016
1 Jean Baudrillard, Cool Memories, München 1998, S. 7 und S. 228
2 Luisa Schatzmann im Gespräch mit der Autorin
3 Leonardo da Vinci, „Traktat über die Malerei“, in: Max Ernst, Stuttgart 1970, S. 42
4 Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, Frankfurt a. M. 1963, Satz 5.6
5 Jean Baudrillard, Cool Memories, München 1998, S. 7 und S. 228
6 Virginia Woolf, Ein Zimmer für sich allein, Frankfurt a. M. 2000,
S. 46/47 und S. 126
7 Virginia Woolf, Ein Zimmer für sich allein, Frankfurt a. M. 2000, S. 46/47 und S. 126.
Gamperdona (8.1.88), 1988, Mischtechnik auf Papier, 50 x 65 cm